Olympische Spiele Paris 2024 79 Also wieder Aufholjagd, wie schon 2021. Und Schubert stellte an der 15 Meter hohen Wand eindrucksvoll unter Beweis, warum er im Vorstieg das Nonplusultra ist, arbeitete sich Griff für Griff nach oben. Auch in der Ergebnisliste. Das Top verpasste er zwar knapp, 96 Punkte waren aber das Maß der Dinge. Nur der Tsche- che Adam Ondra kam genauso weit wie der Österreicher, der, als er sich ins Seil fallen ließ, Bronze sicher hatte. EINE FRAGE DER SCHWIERIGKEIT „Der Vorteil nach einer schlechten Boulder-Runde ist, dass man mit einem feinen Mindset in die Lead- Route gehen kann. Ich hatte nichts mehr zu verlieren und es war meine einzige Chance, voll abzuliefern. Ich bin gut eingestiegen, war schnell in einem super Flow. Die Route war nicht die größte Herausforderung. Ich bin froh, dass es für mich dann so gut gelaufen ist und ich noch eine Medaille gewinnen konnte“, so der jetzt zweifache Olympia-Bronzeme- daillengewinner, dem sechs Punkte auf Silber und den Japaner Anrako Sorato und 15,8 Zähler auf den ver- goldeten Toby Roberts aus Großbri- tannien fehlten. „Die Boulder-Runde war sehr schwer, die Lead-Route leider zu ein- fach. Wäre die Tour knackiger ge- wesen, hätte ich die ersten beiden Plätze auch noch angreifen können. Vom Gefühl her, wäre heute viel mehr drinnen gewesen, aber ich bin extrem froh und stolz, dass ich wie- der eine Medaille gewinnen konnte.“ Ausschlaggebend dafür waren das Mindset und sein über viele Jahre entwickelter „entspannter“ Umgang mit Drucksituationen. „Ich habe im- mer an mich geglaubt, vor allem weil die Ausgangslage in Tokio noch schlechter war. Vor drei Jahren hatte ich die Medaille nach dem Bouldern schon fast abgehakt, heute war das Gefühl anders. Ich wusste, es ist bei einer außergewöhnlichen Perfor- mance noch etwas drinnen.“ Die verpasste Goldmedaille wirkte beim Ausnahmesportler nach, tage-, nein wochenlang grübelte Schubert über die verpasste Chance. „Ich habe für die Goldene so hart gearbeitet – und sie war an diesem Tag möglich. Aber es hätte auch viel schlechter aus- gehen können, weil es so knapp war.“ Gibt’s also einen dritten Anlauf für Olympia-Gold? „Ich lege mich da jetzt nicht fest“, sagt Schubert, schickt aber nach, dass durchaus eine Chance besteht, dass er 2028 in Los Angeles an den Start gehen wird. „Ich habe immer noch Spaß am Klet- tern und habe gezeigt, dass ich im Vorstieg einer der Besten bin. Solan- ge sich das nicht ändert, werde ich weitermachen. Ob ich jetzt noch ein- mal vier Jahre diese Kombination mache, weiß ich nicht. Aber viel- leicht gibt es ja 2028 Medaillen in Speed, Bouldern und Lead.“ Die Qualifikation war nur Formsache. Obwohl Jakob Schubert seine Stärke im Vorstieg nicht ausspielte, kombi- nierte er sich als Fünfter ins Finale des olympischen Boulder & Lead-Bewerbs. Beim Blick auf die Ergebnisliste und also die Top-8 für die Entscheidung war dem Tiroler klar: „Es gibt größere und weniger große Favoriten, aber praktisch je- der im Finale kann die Medaillen holen. Und es gibt zumindest fünf Anwärter auf Gold.“ Nach Bronze bei der Olympia-Pre- miere der Sportkletter:innen vor drei Jahren in Tokio war genau diese Goldmedaille das große Ziel des er- folgreichsten Wettkampfkletterers der Geschichte. Das Le Bourget Sport Climbing Venue im Norden der Stadt bot eine imposante Bühne für die Kletter-Stars, die rund 14.000 Zuschauer:innen sorgten für die ent- sprechende Stimmung. PUNKTABZUG BEIM BOULDERN Jene von Schubert war nach der Boulder-Runde nicht euphorisch. Ausgerechnet am Fitness-Boulder hatte der sechsfache Weltmeister ausgelassen, nachdem er zuvor die erste Prüfung mit Top gemeistert und an der Platte überrascht hatte. Schu- bert kletterte bis zur ersten Zone, die ihm nach einem Einspruch des fran- zösischen Teams und Studium der TV-Bilder aber wieder aberkannt wurde. Am vierten Boulder sorgte der 33-Jährige für Schadensbegren- zung, der Rückstand auf die Medail- lenränge betrug nach der ersten Dis- ziplin aber bereits 19,5 Punkte. „Wenn mir vor dem Finale jemand gesagt hätte, dass ich beim physi- schen Boulder keinen einzigen Punkt mache, hätte ich ihn wohl aus- gelacht. Ich weiß auch nicht, warum ich mir da so schwergetan habe. Ich war knapp dran, aber oftmals ist es eben eng, ob man einen Zug schafft oder nicht.“ Der Tiroler konnte sich bei seiner Aufholjagd auf seine Qualitäten im Vorstieg verlassen.